Irland ist eine der begehrtesten Radfahrer*innen-Destination des Planeten. Ein Ort mit steilen Küstenklippen, saftigen grünen Bergen und bunten Städten von welchen Millionen von Touristen träumen.
Schwärmereien von unterwegs gemachten Bekanntschaften hatte ich auf einer Liste zusammengefasst. Besser waren wir noch nicht vorbereitet. Es stört mich gar nicht, jeden Tag aufs Neue ins Ungewisse zu fahren und zu schauen, was für Überraschungen auf einen warten. Was ich aber immer wissen muss, ist, wo die besten Wanderregionen sind. Und über diese Erkundete ich mich auf der Fähreüberfahrt. Rahel hatte keine speziellen Wünsche, überlies mir die Planung und schlief während der Zeit. Westküsten enttäuschten noch nie und so war immerhin die Richtung, in welche wir starteten klar.
Wir erreichten Rosslare am Abend, fuhren etwas aus der Zivilisation heraus und durften dann bald unser Zelt auf einem Bauernhof aufbauen. Auf dem Euroveloweg fuhren wir bis Cork. Die Landschaft im Süden Irlands war ähnlich wie in England und nicht wirklich spannend. Interessanter wurde es, als wir den Wild Atlantic Way erreichten. Vom südlichen Startpunkt bis zur Nordspitze bringt es dieser auf 2.500 Kilometer Länge und gehört damit zu den längsten ausgewiesenen Küstenstrassen der Welt. Die erste Etappe bot viele kleine Halbinseln, mit tollen Klippen und Leuchttürmen.
Dann standen die drei berühmten Halbinseln Baera, Kerry und Dingle an. Auf der Ersten wollten wir über den Healy Pass weiter nordwärts. Doch üble Sache, davor hatte ich meinen aller ersten Speichenbruch. Da auch das Wetter sich mal wieder nicht von der schönsten Seite zeigte, machten wir also einen längeren Halt in einem Bikeshop, diskutierten mit anderen gestrandeten Radtouristen die Streckenwahl und verschoben den knapp 300 Meter Anstieg auf den danach folgenden Tag. Die Passstrasse liess sich sehen: Sie war selten steil und bot viele schöne Serpentinen.
Bei Kenmare erreichten wir den Ring of Kerry, Irlands bekannteste Rundreiseroute. Mich zog es ins hüglige Inland. Doch Rahel wünschte die Küstenstrecke zu fahren und so planten wir beides ein. Ich wurde leider nicht positiv überrascht. Ich vermisste die engen, kurvenreichen Strassen, der Verkehr und die Reisebusse stressten mich. Die Klippen, Sandstränden und Buchten waren ganz nett, doch imposanter als jene der Nachbarhalbinseln waren sie meiner Meinung nach nicht. Sobald wir die Touristenstrasse verliessen, öffnete sich mein Herz wieder. Hier wartete der höchste Berg Irlands auf uns. Die Wanderung war spektakulär. Durch Schotter und Geröll suchte man sich einen Weg nach oben. Der Untergrund war rutschig und die Hände oftmals die einzige Möglichkeit, sicher an kniffligen Passagen vorbei zu kommen. Auch Steinschlag war ein Thema. Trotzdem trafen wir auf viele andere Abenteuerlustige, als wir das wolkenverhangene Gipfelkreuz erreichten.
Rahel empfand die Wanderung nicht als Ruhetag und wollte den nächsten Tag etwas gemütlicher angehen. Wir einigten uns, zwei verschiedene Routen zu nehmen und uns am Abend wieder zu treffen. Meiner Meinung nach verpasste sie so die schönste Strecke ganz Irlands: Gap of Dunloe. Autos sind für das Gap nur für die einheimischen Bewohner erlaubt! Wer auf den Pass will, bezahlt entweder für eine Pferdekutsche oder nimmt die Strecke mit eigener Muskelkraft in Angriff. Die in der letzten Eiszeit durch Gletscher entstandene Bergketten und Schlucht war faszinierend. Endlich ein Landschaftsbild, welches nicht nur aus grünen Hügeln und Schafen bestand. Durch das Black Valley und über das Moll’s Gap radelte ich in den Killarney National Park. Auf einer kilometerlangen, rauschenden und kurvenreichen Abfahrt hinunter in das Zentrum des Parks. Gebremst habe ich nur für den Aussichtspunkt Ladies View.
Am Tag darauf erreichten wir die Dingle-Halbinsel. Auch den Slea Loop nahm ich alleine in Angriff. Jene Peninsula ist mein absoluter Geheimtipp. Es erwartete mich eine kurze Wanderung auf den Mount Brandon, welche ich mit zwei Amerikanerinnen in Angriff nahm. Danach ging es an der Küste mit imposanter Klippenlandschaft zurück in das Städtchen mit bunt bemalten Türen. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr hinaus und musste mehrere Pausen einlegen, um die Klippen und kleinen Inseln noch länger bewundern zu können. Zweimal wurde ich zu einem Kaffee eingeladen, was eher stressig endete, da auf dem Land der irische Akzent besonders rustikal ausgeprägt ist. Ich war froh zu wissen, dass auch Englischsprechende ihre Mühe damit haben.
In Dingle endete meine gemeinsame Tour mit Rahel. Ihr Wunsch war es, mich nicht einfach zu besuchen, der Plan war, dass wir den ganzen Sommer zusammen unterwegs sind. Sie lernte, dass Low-Budget-Reisen nicht mit Ferien gleichzusetzen ist. Dass eine Fahrradtour strenger als eine Busreise ist. Die Nächte in Irland kalt und selten trocken sind. Dass ich alles, worauf ich sie vorwarnte, wirklich so handhabe. Sie schraubte ihr Budget auf meines herunter und machte alles mit: Duschen unter kaltem Wasser, Wäschewaschen am Strand oder Kochen, während man selbst von Mücken lebendig gefressen wird. Nie wurde ich auf eine Nacht in ein Hostel oder eine Mahlzeit in einem Restaurant eingeladen. Wir hatten viele tolle, lustige Momente, bleibende Augenblicke, die man mehr geniesst, wenn man mit jemand darüber lachen kann.
Ich freute mich stets, mit Gesellschaft ein Stück Weg gemeinsam zu radeln. Es ist eine Veränderung, wenn man plötzlich jede Minute mit jemandem zusammen ist. Wenn plötzlich nicht mehr nur noch der eigene Rhythmus und die eigenen Bedürfnisse zählen. Für Rahel war alles neu. Ich fühlte mich für sie verantwortlich, war besorgt über ihr Material und ihre Fitness. Wenn ich alleine Entscheidungen treffe, bin ich auch alleine verantwortlich, wenn alles schief geht. Nun ging ich weniger Risiken ein, schlief plötzlich wieder auf Zeltplätzen, verzichtete auf viele Stunden auf dem Fahrrad, obwohl endlich Sommer war. Wir gingen beide viele Kompromisse ein, suchten einen Mittelweg und waren beide von Woche zu Woche mehr unzufrieden, wie sich alles entwickelte.
Ich wäre gerne mit jemand zusammen unterwegs. Eine Begleitung, die ich über die Blumen am Strassenrand aufmerksam machen kann, die im Gegenzug mal mich motiviert, jemand mit der ich das Lagerfeuer am Abend teilen kann. Doch ich bin lieber mit mir alleine, als in suboptimaler Gesellschaft, wo ich auf zu vieles verzichten muss. Und trotzdem immer motiviert mich von einem Reisestiel einer anderen Person inspirieren zu lassen und zu sehen, wie viele Kilometer das gemeinsame Abenteuer dauert.
Schade dass es für Dich nicht passte zu zweit zu strampeln und keine Verantwortung zu übernehmen. Aber so ist das Leben, manche sind alleine besser aufgehoben. Ich hoffe Du kannst Deine Tour nun wieder so geniessen wie Du es Dir vorstellst und so wieder viele neue Erlebnisse machen kannst. Gut war die Zeit zusammen mit Rahel ja auch, halt einfach anders als in Deinen Vorstellungen. Geniess also weiterhin die Zeit. Wer weiss, vielleicht triffst Du ja auch Jo bei der Klippenwanderung wie wir letztes Jahr.
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