Auf der Fähre von Santander nach Plymouth hatte ich einen Tag Zeit, mich auf England einzustellen. Ich verbrachte die Überfahrt mit zwei Herren aus Wales, welche ebenfalls mit dem Fahrrad in Spanien unterwegs gewesen sind. Dieses allerdings etwas improvisierter als ich. Sie hatten viel Pech mit dem Material und die eine Partie musste zudem in die Hauptstadt, um einen Passverlust zu melden. Insgesamt waren sie froh auf dem Rückweg zu sein und genossen den Abend umso mehr. Während der Gesangsdarbietungen bezahlten sie mir ein Bier nach dem Anderen und zu der Zaubershow gab‘s mehrere Erdbeertörtchen. Jene müssen es gewesen sein, dass wir uns am darauffolgenden Tag hundselend fühlten und den Rest der Bootsfahrt auf den Liegestühlen an der frischen Luft verbrachten.
In Plymouth erwartete Rahel mich. Bereits vor einem Jahr haben wir abgemacht, dass sie mich für eine Weile begleiten wird. Und nun war es endlich so weit. Sobald ich auf dem Fahrrad war, ging es mir wieder besser. So fuhren wir noch circa zwei Stunden und bauten an einem Aussichtspunkt für Wanderfalken unser erstes englisches Nachtlager auf.
Was mir in England als Erstes auffiel, war, wie viele und wie gut ausgebaute Radwege es hier gibt. So konnten wir nahezu die ganze Strecke bis Fishguard nebeneinander fahren. Wir folgten stillgelegten Eisenbahnstrecken und Kanälen, es ging durch die einsamen Hochmooren Dartmoor und Exmoor, vorbei an vielen Burgen und noch mehr Schafen. Das Zweite was wir realisierten, war, wie unglaublich hüglig es hier ist. Rahels Beine waren zum Glück noch fit und so nahm sie dies ziemlich gelassen. Als wir am dritten Tag in Ilfracombe wieder ans Meer stiessen, mussten wir unglücklicherweise ihren Gepäckträger bereits neu montieren. Mein gelbes Velo war ab nun nicht, wie erhofft, leichter beladen, sondern ich schleppte Futter für zwei hungrige Mäuler über alle Hügel.
Die dritte Erkenntnis: In England ist alles Privatland. Siehst du auf der Karte einen netten See, Fluss oder ein kleines Wäldchen: Versuchs erst gar nicht dein Zelt da aufzubauen. Du wirst alles umzäunt vorfinden. Eine Lösung gefunden haben wir trotzdem immer was, wenn die Plätze auch nicht sehr idyllisch waren. Das beste Camp war definitiv in einem Vogelbeobachtungsturm. Um sechs Uhr am Morgen wurden wir von einer Spaziergängerin bereits geweckt. Sie war so verstört uns in Schlafsäcken vorzufinden, dass sie sich rückwärts, sich entschuldigend zurück in den strömenden Regen taumelte. Pech für sie, fünf Minuten später gab‘s die erste Kanne Kaffee.
In Glastonbury wanderten wir zum Turm hinauf und anschliessend ging es erst mal auf eine grosse Shoppingtour. Rahel kaufte sich einen Innenschlafsack und eine Kuscheldecke, um in der Nacht etwas wärmer zu haben. Für mich gab es neue Merinoleggins und einen neuen Gaskocher. Über Wells fuhren wir weiter nach Bristol. Da die Stadt nicht wirklich viel Sehenswertes bietet, war nicht geplant hier zu übernachten. Doch wir trafen auf Fahrradfahrer Seweryn und er lud uns ein, in seiner Wohngemeinschaft zu übernachten. Uns verschlug es in ein Haus voller Polen, welche hier arbeiteten. Nach einer Dusche erkundeten wir den Tag durch Bristol, indem wir von einem Banksy Graffiti zum nächsten wanderten. Zurück in der WG war die Lage noch viel bizarrer. Seweryn war arbeiten und die Anzahl Polen war drastisch angestiegen. Sie tranken vor allem Bier, sehr viel Bier und spielten polnische Art von UNO. Jeder schien hier irgendwie zu übernachten. Wie sie dies mit der bestehenden Anzahl Betten lösten, blieb uns ein Rätsel.
Über die Severn Brücke gelangten wir nach Wales. Hier hatten wir unsere ersten wirklich üblen Regentage. Als wir uns mit einem heissen Getränk in einem Café aufwärmen wollten, machten wir die nächste Erkenntnis. Es gab entweder Instantkaffee oder Bier. Zum Bier wurden wir eingeladen und so war der Fall klar. Aufwärmen kann man sich in England damit ja auch fast.
Der letzte Abschnitt war der eindrücklichste und abwechslungsreichste unserer Tour. Wales bot viel unberührte Natur, ausgedehnte Sandstrände, grüne Hügel und hunderte von Burgen. Die Küstenstrecke von Pembrokshire vorbei an St. David nach Fishguard war grossartig. Die Küsten waren steil, sehr zerrissen und hatten viele Buchten. Eine wunderbare Einstimmung auf den bevorstehenden Wild Atlantic Way, unser eigentliches Reiseziel in Irland.