Das breite Schotterband des Dempster Highway verläuft von den Goldfeldern am Klondike River weit über den Polarkreis hinaus nach Inuvik am Mündungsdelta des Mackenzie River. Die Wildnis der ursprüngliche Landschaft und unberührten Natur beginnt direkt am Strassenrand. Schwieriges Gelände und ein extremes Klima von bis zu plus 35 Grad im Sommer und minus 45 Grad im Winter haben dieses Land bis in unsere Zeit von einer Erschliessung und deren Folgen bewahrt.
Im Werbeprospekt wird der Dempster Highway als einsamste und wildeste Strasse Kanadas angepriesen. Man müsse nach einem starken Regen immer damit rechnen, dass sich die 742 Kilometer lange Gravelroad zu einer seifigen und matschigen Piste verwandelt und nur schwer zu befahren ist. Und Regen, selbst Schnee ist hier im Norden täglich zu erwarten. Nach den geteerten Strassen, ohne Alternative zum Highway, brauchte ich mal wieder etwas Herausforderung und beschloss, dass die Strasse über den Arctic Circle genau für mich zugeschnitten ist. Das Wetter sah nicht allzu schlecht aus und so schickte ich mir etwas Essen in die Lodge auf halber Strecke und legte los.
Zu Beginn säumen sich auch hier dichte Wälder die Strecke. Es ging kontinuierlich bergauf, bis man schliesslich in den Tombstone Provintional Park gelangte. Dies eine fantastische Wandergebiet, vor allem im Herbst, wenn das Land in intensivem Gelb und Rot des arktischen Herbstes erglüht. Da Regen für den kommenden Tag angesagt war, entschied ich mich nur für eine kurze Wanderung zu einem Aussichtspunkt auf die Berge. Sehr gerne wäre ich weiter zum Grizzly Lake gewandert, doch in meinen Turnschuhen wäre dies bei diesem Wetter nicht sehr Vernünftig gewesen. Zurück auf dem Fahrrad hielt der erste Biker. Er drückte mir ein Redbull in die Hand und wünschte mir viel Ausdauer für die Reise. Er sei umgekehrt, da ihm das Fahren im Schlamm zu gefährlich sei. Ich liess mir die Motivation nicht nehmen und fuhr noch zirka eine Stunde weiter, bis ich mein Zelt aufbaute und mir einige Kartoffeln mit Frischkäse gönnte.
Am zweiten Tag ging es weiter bergauf bis auf den North Fork Pass, dem höchsten Punkt des Highways und der Wasserscheide zwischen Pazifik und Arktischem Ozean. Von hier hatte ich ein zweites Mal eine fantastische Aussicht auf die Tombstone Mountains. Der Regen blieb aus, doch auch schon so war mir die Strasse genug klebrig. Doch eine Stunde später lohnte sich die Anstrengung bereits, denn ich sah meine ersten vier Elche. Sie waren zwar in weiter Entfernung, doch mit dem Feldstecher gut sichtbar. In meiner Mittagspause am Chapman Lake wurde ich das zweite Mal beschenkt. Ich erhielt einerseits sechs organische Energieriegel, zudem wurde mir eine Nachricht überreicht. Ich wurde gewarnt, dass Motorbiker am Tag zuvor am Red Creek von einem wilden Wolf angegriffen wurden. Ich bedankte mich für die Info und versuchte mir die Verhaltensregeln mit Wölfen zurück in Erinnerung zu bringen. Sperren Sie ihre Kinder weg… Was war da noch…? Die Weiterfahrt ging durch Tundra und hüglige, graue Mondlandschaft. Drei Stunden später erreichte ich den durch Mineralien in dunkel gefärbten Fluss und tatsächlich lagen da drei junge Wölfe aneinander gekuschelt auf der Strasse. Ich hielt in einiger Entfernung von ihnen und suchte die Umgebung nach ihrer Mutter ab. Bevor diese Auftauchte fuhr zu meinem Glück ein Auto vorbei und verscheuchte die jungen Tiere von der Strasse. Ich beschloss meinen Tag noch etwas auszudehnen und fuhr weiter zum nächsten Campground. Hier wurde ich von den nächsten niedlichen Tieren erwartet. Mücken! Die Plage auf dem Engineer Creek Zeltplatz war unglaublich. So etwas habe ich noch nie erlebt. Doch wie sich es herausstellte, waren von nun an die netten Blutsauger meine täglichen Begleitung. Als ich am Teewasser kochen war, tauchte Leonhard auf. Er und seine Frau luden mich zu „Ghackets und Hörnli“ in ihren Camper ein. Noch nie war ich für eine Einladung so dankbar und stimmte sofort zu.
Der darauffolgende Tag war nass. Ich war erneut im Camper von Familie Senti willkommen und das Frühstück wurde zu einem erstklassigen Brunch ausgeweitet. Erst am Nachmittag, als sich die Sonne wieder zeigte, gingen wir wieder getrennte Wege. Die Landschaft war nun leider nicht mehr so abwechslungsreich wie am Tag zuvor. Zudem gab es wieder mehr Wald, welcher einem die Weitsicht raubte. Am Nachmittag erreichte ich den Viewpoint der Ogolvie Mountains. Das fantastische Bergmassiv war dank der kargen Vegetation, die in der höheren Region wieder herrschte, schon von weitem sichtbar und bot dem Auge Impulse und Abwechslung der Endlosigkeit. Sogar die Mücken hielten sich auf der Bergkette, auf der ich mich nun befand in Grenzen und so beschloss ich, mein nächstes Nachtlager aufzubauen. In der Nacht erwachte ich und zwar nicht etwa wegen einem unerwarteten Geräusch. Es war die Stille die so sonderbar war. Da war absolut kein Wind, da waren keine Mücken, keine Vögel, kein Verkehr, nichts. Es war mucksmäuschenstill. Ich setzte mich nach draussen, bewunderte die in rot getauchten Berge und genoss das spezielle Klima.
Als ich am vierten Tag gemütlich meine Haferflocken frühstückte, hielt der erste Campervan und mein Wasservorrat-Problem löste sich schon, bevor ich überhaupt weiterfuhr. Ich erhielt zudem weiter eine Dose Fanta mit Rosinengeschmack und einen Muffin. Die Strecke führte an diesem Tag durch viel Drunken Forest. Das sommerliche Auftauen des Permafrosts und die Bewegung der eisreichen Erde haben die Bäume in abenteuerliche Schräglache gebracht. Am Wegrand blühte herrlicher gelben arktischer Mohn und über mir braute sich ein übles dunkles Gewitter zusammen. Als ich auf einem Rastplatz alles Wasserdicht verpackte, tauchten aus dem Nichts zwei Elche auf. Sie schienen mich nicht zu bemerken und liefen bis auf zirka fünf Meter Entfernung auf mich zu. Als sie wieder im Wald verschwunden waren, tauchte an gleicher Stelle ein Campervan auf. Familie Bergen lud mich auf eine Suppe ein und ich konnte so erneut ein Gewitter im trockenen verbringen. Bei Sonnenschein fuhr ich anschliessend weiter zum Eagle Plains Hotel um mein Foodpacket abzuholen.
Bei Kilometer 405 erreichte ich den Polarkreis und begab mich in das Reich der Mitternachtssonne. Der Dempster Highway folgte von hier den Richardson Mountains bevor der er in einem Einschnitt zwischen den Gipfeln nördlichen Ausläufen der Rocky Mountains verschwand. Ich war zurück in grossartiger weiten, flach gewellten Tundra von runden Kuppen der Bergen. Auf dem Campground am Rock River fand ich einen mückensicheren Shelter und entschied mich kurzerhand etwas früher vom Rad zu steigen. Ich baute mein Zelt gleich im Unterstand auf und konnte mir endlich mal wieder etwas mehr Zeit zum Kochen nehmen.
Die Strasse stieg auf den Wright Pass, welcher die Grenze zu den Northwest Territories bildet. Auch er liegt auf der Continental Divide und gilt auch als Wetterscheide. Es blies ein eiskalter Wind auf dem Pass. Da mir dieser lieber als die Mücken war, legte ich hier eine kurze Mittagspause ein und verdrückte einen Wrap mit Peanutbutter und Konfitüre. Durch wunderbare Tunra schlängelte sich die Strasse anschliessend hinab bis zum Peel River. Diesen überquerte man mit einer Fähre und gelangte so zurück in Zivilisation. Fort McPherson ist ein vorwiegend von Kutchin-Indianern bewohntes Dorf mit etwa 800 Einwohner. Vor der Tankstelle trank ich einen Kaffee, um mit einigen lokalen Leuten ins Gespräch zu gelangen.
Der Dempster war von nun an flach und führte ins Mackenzie-Delta. Die schlammbeladenen Wasser von Peel, Arctic Red und Mackenzie River haben hier ein 80 Kilometer breites und 240 Kilometer langes Labyrinth aus Seen, Flussarmen, Sandbänken und Sümpfen geschaffen, bevölkert von einer riesigen Population von Mücken. Auf meiner linken Seite war der Himmel in rot getaucht, auf der rechten Seite baute sich ein gefährliches Gewitter zusammen. Noch nie hörte ich so lauten Donner, auch wenn sich der Regen noch in 20 Kilometer Entfernung befand. Es war ziemlich unheimlich und so beschleunigte ich mein Tempo, um so bald wie möglich die zweite Fähre zu erreichen. Komplett durchnässt und durchgefroren erreichte ich diese. Die Fährenmittarbeiter hatten etwas Mitleid mit mir und ich durfte ihr Büro als Unterstand für die Überfahrt benutzen.
Auf der anderen Seite angelegt, war der Regen vorbei. Doch er hatte üble Spuren hinterlassen. So sollte auch ich nicht ohne Fluchen den Dempster überleben. Mein Fahrrad tauchte bis zur Felge im Schlamm ab. Die Schutzbleche blockierten sofort von dem klebrigen Lehm und mein Fahrrad liess sich praktisch nicht mehr bewegen. Doch an frustriert die Situation abzuwarten, daran war nicht zu denken.Zu viele der blutsaugenden Monster waren in der Umgebung. Ich wünschte ich hätte mich im Vorhinein besser informiert, die Schutzbleche abmontiert und mir ein Mückennetz gekauft. So kämpfte ich mich Meter für Meter vorwärts und hoffte, dass sich die Strassenverhältnisse bald wieder verbessern. Auch war die restliche Strecke nach Inuvik nicht wirklich interessant. Sie war eine endlose gerade Strecke durch monotones Flachland und morastigen Fichtenwald. Aufgrund des Permafrostes ist die Strasse immer 1.5 Meter vom Boden angehoben. Dies dient als Isolation, so dass die Strasse nicht im Boden versinkt. Dadurch sah man immer über den nur wenige Meter hohen Tannenwald hinweg. Dies war aber auch das einzige Interessante, was der letzte Teil der Strecke bot.
Ich war froh am achten Tag Inuvik zu erreichen. Am letzten Tag bot sich ein Wetterphänomen, welches ich schon fast nicht mehr kannte: Nebel. Ich freute mich auf der ganzen Strecke auf die bevorstehende Dusche. Zudem machte ich mir Gedanken, wie ich mit meinem komplett in Dreck getauchten Fahrrad jemanden finden soll, der mich zurück nach Dawson bringt. Ein Flug zurück lag definitiv nicht in meinem Budget und die Strecke wieder zurück zu radeln, dafür fehlte durch die zwei nassen Tage nun definitiv die Motivation. Alles ergab sich aber mal wieder schneller als erwartet. Am Mittag erreichte ich das Ende des Dawson Highways. Es stand ein Camper auf dem Zeltplatz und ich versuchte sofort mein Glück. Und siehe da, Andrew war erfreut über etwas Gesellschaft auf der Rückfahrt. Nach dieser positiven Nachricht gönnte ich mir die wahrscheinlich längste Dusche, die ich je hatte. Anschliessend putzte ich mit meinem Waschlappen das Fahrrad, wusch meine Wäsche und gönnte mir noch eine zweite Dusche.
Inuvik liegt rund 100 Kilometer vor der Beaufortsee entfernt auf einem flachen, bewaldeten Plateau. Um zu verhindern, dass die Gebäude mit ihrer eigenen Wärme den Permafrostboden auftauen und langsam darin versinken, wurden die Häuser ohne Keller und Fundament auf versenkte Stützen gestellt. Aluminium verkleidete, beheizte Tunnel, laufen, ebenfalls auf Stelzen, von Haus zu Haus. Innen liegen die Rohrleitungen für Wasser, Abwasser und die Fernwärmeversorgung. Sehenswert war auch die kreisrunde Igloo Church im Zentrum des 3000 Einwohner Städtchen. Am interessantesten fand ich allerdings ihren Supermarkt. Es gab von Lebensmittel, über Plastik-Grabblumen bis zum Schneemobil auf kleinster Fläche einfach alles zu kaufen.
Wer denkt, dass das Abenteuer nun vorbei war, täuscht sich. Auch die Rückreise wurde zur Herausforderung. Nachdem wir am Samstag den Wochenmarkt besucht hatten, fuhren wir mit verladenem Velo los zurück Richtung Dawson. Beim Peel River wurden wir dann allerdings übelst ausgebremst. Der Fluss führte zu viel Wasser und die Fähre konnte nicht anlegen. Es gab Reisende die schon seit 24 Stunden auf die Überfahrt warteten. Der Wasserpegel sank zwar kontinuierlich, doch nicht schnell genug, um die Fähre vor den nächsten Gewittern wieder in Betrieb zu nehmen. Als nach sechs Stunden warten, der Fluss wieder zu steigen begann, wurde mir die Situation zu blöd. Lieber fuhr ich die 500 Kilometer zurück, als mich mehrere Tage zu langweilen. Ein Fischerboot brachte mich auf die andere Seite. Ich fuhr noch zwei Stunden weiter und hoffte, dass Andrew doch plötzlich von hinten wieder auftaucht. Als er dies auch nach Mitternacht nicht der Fall war, schlug ich mein Zelt neben drei, auf der anderen Flussseite gestrandeten Wohnmobilen auf. Nach fünf Stunden unruhigem Schlaf wurde ich von einem lauten Donnerknall viel zu früh aus meinem Schlaff geholt. Auch Alan war bereits wach. Er bot mir einen Kaffee an und war zu meinem Glück auch gleich bereit mich zurück nach Dawson mitzunehmen.
So kam es, dass ich als Einzige an diesem Wochenende von Inuvik zurück nach Dawson reisen konnte. Alle Anderen warteten bis zu fünf Tage auf die Überfahrt, wie ich beim Wiedersehen in Dawson erfuhr. Und auch wenn bei mir die Reise ein paar Nerven kostete, war sie definitiv ein absolutes Highlight meiner Kanadareise und ich überlege mir bereits ob ich in Alaska ein zweites Mal über den Arctic Circle fahren soll.
Hoi La
Erneut schöne Bilder, aber die wahren Bilder des Abenteuers fehlen. Wo sind der Schlamm, die Gewitter und die Mücken?
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An Schlamm, Regen und Mücken werde ich mich auch ohne Bilder erinnern!
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