Meine 46 Tage Marokko waren eine grössere Herausforderung als die bis jetzt bereisten Länder. Sie waren manchmal ermüdend, manchmal frustrierend. Aber glücklicherweise hatte ich mich von den anfangs kritischen Stimmen nicht von der Reise abbringen lassen, denn im Nachhinein zähle ich meinen Marokkotrip zu einer der schönsten und aufschlussreichsten Tour meines Lebens. Ich war absolut gerührt von der Grosszügigkeit und Herzlichkeit der Menschen und überwältigt von der grossartigen Natur. Mich faszinierte dieses Land.
In den zwei letzten Wochen fuhr ich von der Wüste bis an die Atlantikküste. Mit André, Igel und Paola verbrachte ich davor in Zagora ein paar Ruhetage. Sie alle sind schon viele Jahre mit dem Fahrrad unterwegs und ich befand mich also in bester Gesellschaft. Danach ging es über Nebenstrassen weiter durch die Steinwüste. Landschaftlich mit all den Palmen einmalig nur leider fuhr ich etwa durch eine 200 Kilometer lange Baustelle. Warum man so viel Strasse aufreisst, um anschliessend nur an einigen Stellen ein paar Bauarbeiter zu platzieren, blieb mir ein Rätsel. Zudem hatte ich doch tatsächlich einen Tag Regen. Am Abend als ich dabei war mich in einer Oase zu verstecken, tauchten zwei Mädchen auf. „Sie sprechen sehr wenig Französisch, aber ob ich bei ihnen Übernachten will?“ Aicha und Rachida liefen extra im strömenden Regen einen Umweg, um mich anschliessend in den Palmen zu suchen. Da konnte ich unmöglich ablehnen. Meinen Traum unter Palmen und Vogelgezwitscher aufzuwachen, musste ich also noch eine Weile verschieben. Die zehnköpfige Familie lebte ähnlich wie ich es hier schon öfter gesehen hatte. Das Haus war sehr gross, viele Räume standen aber einfach leer. Benutzt wurde vor allem das mit Teppichen ausgelegte Esszimmer, welches in der Nacht auch zum Schlafen dient. Ich wurde sofort mit Tee, Brot und Olivenöl willkommen geheissen, wir kuschelten uns unter Decken, versuchten uns zu unterhalten oder drückten auf unseren Smartphones herum. Um halb zehn wurde ich mal wieder mit einem Couscous verwöhnt, bevor mein Bett aus selbstgeknüpften Teppichen gebaut wurde. Verkaufen wollte man mir aber keinen. Wie sympathisch.
Von der Wüste ging es nun in das Anti Atlas Gebirge. Die Temperaturen wurden angenehmer und je höher dass ich gelangte, desto grüner wurde die Landschaft. Der Weg nach Tafraoute war ein einziges Naturspektakel. Das saftige Grün der Oasen entlang des Flusstals im Ammeln Vally stand im krassen Gegensatz zu dem vegetationskargen, aber grandiosen Gebirgsland der Umgebung. Im Talkessel wuchsen Mandel- und Obstbäume, Datteln, Oliven, Feigenkakteen und sogar Getreide. Auch sonst wirkte die Landschaft um Tafraoute mit all den gigantischen und scheinbar wahllos in der Landschaft verteilten Sandsteinmonolithe unwirklich und surreal. Um dies noch zu toppen hat der belgische Künstler Jean Verame mit über 18 Tonnen Farbe einige dieser Riesen farbig bemalt. Durch die Witterungseinflüsse sind viele dieser Felsen jedoch inzwischen sehr verblasst. Ich finde es etwas fragwürdig so in die Natur einzugreifen und das Kunstwerk anschliessend nicht zu unterhalten. Doch als Tourismusmagnet ziehen die Painted Rocks scheinbar noch immer.
Die Fahr zur Küste sollte noch einmal durch die Wüste führen. Die Wüstenstadt Assa konnte ich dann allerdings nicht so direkt wie geplant ansteuern. Die auf meiner Karte so toll aussehende Strasse existierte nicht. Was ich vorfand war ein Flussbeet, doch dies war mit meinem Fahrrad definitiv nicht befahrbar. So legte ich ein paar extra Kilometer, vor allem ein paar extra Höhenmeter ein. Radfahrerinnen hatte man hier in der Gegend scheinbar noch keine gesehen. Ich war mal wieder umkreist von vielen rennenden „Stylo-Stylo-Kindern“, die jüngsten von ihnen starrten mich aber nur mit grossen Augen und offenem Mund an. Mal meine Wüstenstrasse gefunden, musste ich als erstes meinen Pass vorweisen und den Polizisten einige Fragen zu meiner Person beantworten. Ich bin hier in einem Polizeistaat. Als Autofahrer*in wirst du täglich kontrolliert. Mit dem Fahrrad war es mein erstes Mal. Aber auch so kennt die Polizei immer meinen Aufenthaltsort. Die Unterkünfte sind verpflichtet jeden Abend zu rapportieren, dass du bei ihnen die Nacht verbringst, woher du kommst und wohin du willst. Und selbst wenn ich mit Einheimischen die Nacht verbrachte, musste ich oft, zuerst mit dem lokalen Polizisten telefonieren. Niemand will, dass hier ein Skandal passiert, welcher sich negativ auf den Tourismus auswirkt. Für meine Sicherheit ist dies sicher gut, als Einheimische würden mich diese täglichen Kontrollen ziemlich nerven. Als ich in Assa eintraf und meinen Lebensmittelvorrat aufstockte, traf ich erneut auf die Polizei. Wieder notierten sie alle Daten von mir und der Beamte meinte anschliessend, dass er mich zum Hotel begleite. Mit wildcampen hatte ich also mal wieder ausgespielt. Das Hotel war allerdings ausgebucht. Auf meine Frage ob ich hinter dem Hotel zelten dürfte, meinte der Polizist es sei sicherer, wenn ich dies im Park gegenüber des Polizeigebäudes tue. Die Parkanlage war ein idealer Zeltplatz, war windgeschützt und hatte sogar Wasseranschluss. Einzig die Kinder welche ein Katz und Maus spiel mit der Polizei spielten, um an Süssigkeiten von mir zu kommen, waren etwas nerv tötend. Als ich mit Kochen begann, trafen erneut drei uniformierte Herren ein und wollten wissen, was ich hier tue. „Und überhaupt, warum ich denn alleine Reise und nicht verheiratet sei. Hier zu zelten wäre viel zu gefährlich, es sei hier der Polizeichef, das dürfe ich nicht.“ Punk. Die Situation zu erklären brach nichts, meine Meinung zählte hier gar nichts. Ich musste mein Zelt wieder abbauen. Aufgrund der angespannten Lage hielt ich es auch für taktvoller, mich nicht mit anderen Vorschlägen einzumischen. Es wurde wild herumtelefoniert, doch der gute Herr fand dann auch heraus, dass das Hotel wirklich ausgebucht war. „Trotzdem sei es hier viel zu riskant und ich solle mein Zelt auf der gegenüberliegenden Strassenseite, direkt neben dem Eingang zum Polizeigebäude aufstellen.“ Hier war alles voller Müll und der Platz war direkt neben der Strasse. Ich tat wie geheissen. Während ich am Aufbauen war, schrien sich neben mir etwa zehn uniformierte Marokkaner an. Eventuell diskutierten sie aber auch über das Wetter, die Landessprache tönt immer etwas aufgeheizt. Auch der freundliche Polizist vom Auftakt war wieder zurück und er tat mir etwas Leid. Ausgestellt mein Abendessen hier zuzubereiten wollte ich nicht, so änderte ich meine Pläne und es gab Brot mit „La vache qui rit- Käse“. Etwas was ich noch nie so oft konsumierte wie hier in Marokko. Um halb zwölf wurde ich dann noch einmal aufgeweckt und einer der Polizist lud mich zum Abendessen ein. Ich bedankte mich freundlich, schlief dann aber weiter.
Nach einem Berberomlett-Frühstück, selbstverständlich unter Aufsicht der Polizisten, ging es zurück in die Wüste. Am Tag zuvor traf ich alle zehn Kilometer eine Kamelfamilie, hin und wieder einen einzelnen Menschen. Hockend in gleissender Sonne am staubigen Strassenrand, eingehüllt in eine Dschellaba, wartend auf irgendwen, irgendwas oder nichts. Wieder erwartete ich viel Ruhe und viel Nichts. Unendliches Nichts. Stundenlang, kilometerweit. Vorne Nichts, hinten Nichts – nichts als eine karge Steinwüste mit einzelnen Sträuchern. Doch der Tag kam etwas anders. Ich hatte Gegenwind vom übelsten. Trotz dem Turban, welchen ich mir wie die Einheimischen um den Kopf wickelte, ass ich kiloweise Sand. Nach drei Stunden Fahrt war ich gerade mal achtzehn Kilometer weit gekommen. Immer wieder musste ich anhalten und eine Windböe abzuwarten. Mein Knie war bereits aufgeschlagen und ich wollte nicht, dass es mich ein zweites Mal vom Velo bläst. Chalid hatte Mitleid mit mir. Alhamdulallah! Wir verluden mein Fahrrad in sein Auto. Im Nachhinein war so ein Sandsturm eine recht interessante Erfahrung aber währenddessen machte wirklich keinen Spass. Chalid war irgendein Armeetyp welcher lieber im Hotel schlief, als in der Kaserne. Dahin nahm er mich dann auch mit und bezahlte sogar für das Zimmer. Bei der Ankunft konnte ich mit den Hotelbesitzern mein erstes Mittagessen verspeisen, anschliessend ging es mit Chalid in die Stadt für das Zweite. Am Abend gab es eine herrliche Fischtajine, eine Stadtrundfahrt durch Guelmim, erneut ein Kännchen Tee und mein Tag endete gar nicht so uninteressant.
Am folgenden Tag war es nun endlich soweit, ich sollte den Pazifik erreichen. Davor ging es allerdings noch über die Ausläufe der Anti Atlas Berge. Nachdem ich Tage nur Wüste gesehen hatte, war hier nun alles unglaublich grün. Nicht nur mir gefiel die Region, auch die Morokkaner*innen genossen das Wochenende und machten Picknicke unter den Arganbäumen. Weniger beeindruckt war ich von Sidi Ifni, der Küstenstadt einige Kilometer später. Das sehen aber die europäischen Touristen anders. Entlang des Meeres reite sich ein Wohnmobil ans Andere. In kurzen Badeshorts und nacktem Oberkörper lag man im Liegestuhl oder spielte Boule. Dies war nicht mein Ort und so beschloss ich mich, noch ein paar Kilometer in Angriff zu nehmen. Eine Entscheidung welche sich auszahlte. Oberhalb des Strandes Legzira traf ich auf M’Barek. Er lebt hier in einer zirka drei Quadratmeter grossen Hütte und liess mich daneben campieren. Selbstverständlich hätte ich auch in seiner Unterkunft schlafen dürfen, dies war mir dann jedoch etwas zu intim. Die Aussicht auf den Strand mit den faszinierenden Gesteinsformationen war genial. Leider wurde Ende September 2016 eines der Steintore stark beschädigt und ist in sich zusammengebrochen. Aber auch so ist der Strand noch atemberaubend. Als es entdunkelte gesellte ich in das Reich von M’Barek. Und wieder kannte die Gastfreundschaft keine Grenzen. Er kochte mir eine Tajine mit Zwiebel und Poulet. Und danach tranken wir bei Kerzenschein, denn Elektrizität hatte er nicht, Tee bis tief in die Nacht.
Ich wäre gerne noch länger in Marokko geblieben, aber ich hatte seriöse Probleme mit dem Hinterrad des Fahrrades, welche ich lieber in Europa reparieren lassen wollte. Küste bleibt Küste egal ob in Marokko oder woanders entschied ich und fuhr mit dem Bus zurück nach Tangier. Von da ging es etwas übermüdet zur Fähre, welche mich zurück nach Europa brachte.
Herzliche Freundlichkeit, Gastfreundschaft, mächtige Berge und gewaltige Sanddünen beeindruckten mich auf meiner Reise durch Marokko. Ich liebe Länder wo die Landschaften so schnell umschlagen. Um Tafraoute fand ich blühende Mandelbäume und kuriose Steinformationen, um Tagmoute singende Berberfrauen welchen in den Dattelpalmen Oasen arbeiteten. Ich sah von grünen Küsten, schneebedeckten Hochgebirgslandschaften, Wüsten und Oasen alles. Und ich werde die Atmosphären der Städte wie Chefchaouen oder Fez vermissen, auch wenn sie sehr anstrengend waren. Übernachtungsmöglichkeiten waren günstig, aber nichts toppte die einsamen Nächte im Zelt unter grandiosesten Sternenhimmel. Ausser eventuell die Nächte, welche ich mit Einheimischen verbringen durfte. In welchen sie mir stolz zeigten wie man marokkanischen Tee kocht oder sie mich mit Tajines und Couscous fütterten bis ich fast platzte.
Marokko ist das perfekte Land um mit dem Fahrrad zu touren und empfehle es jedem und jeder weiter. Ich werde auf jeden Fall zurückkehren. Inschallah!